Psychotherapie und Zirkus: „Bestätigung, Anerkennung, Zuversicht“ – das brauchen wir, um gesund zu werden
In unserer Jubiläumsbroschüre zu 30 Jahre CABUWAZI haben wir bereits einen spannenden Blick auf das Thema Psychotherapie und Zirkus gegeben. Jetzt möchten wir diesen Text, der ursprünglich in der Broschüre veröffentlicht wurde, auch hier in unserem Blog mit dir teilen.
Text und Interview: Julia Krautstengel
Seit 2022 gibt es das in Deutschland einzigartige Institut für Zirkustherapie Alegria. Das Institut arbeitet mit einem ressourcenstärkenden Ansatz, der neben bewährten Verfahren der Verhaltenstherapie auch kreative Methoden aus der Kulturellen Bildung einbezieht. Die Gründerin Britta Niehaus möchte damit schnelle, professionelle Hilfe für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen und Erkrankungen bieten, fernab des Krankenkassensystems.
Warum das für die therapeutische Versorgung in Deutschland so wichtig ist, wie Kindern in Krisensituationen geholfen werden kann und was Zirkus mit Therapie zu tun hat, haben wir mit Expert:innen aus dem Fachbereich Kinder- und Jugendpsychologie im Interview besprochen!
Die Profile der Expert:innen findest du ganz unten.
Wie viele Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland an einer psychischen Erkrankung?
Claudia: Es kommt natürlich darauf an, wie man es erfasst, aber es lässt sich davon ausgehen, dass 12% der Kinder und Jugendlichen eine diagnostizierbare psychische Störung haben. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die psychische Belastungen haben, liegt deutlich höher:
„Ungefähr jedes fünfte Kind/Jugendliche
hat psychische Probleme.“
– Dr. Claudia Calvano
Gerhard: Als Praktiker schaue ich nicht so häufig in die Statistiken, aber wenn ich mir die Lebenszeitrisiken von psychischen Krankheiten vor Augen führe, liegen wir wahrscheinlich in dem Bereich von 30 bis 40%.
Britta: Seit der Pandemie sind die psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen eklatant gestiegen!
Was sind die hauptsächlichen Erkrankungen?
Gerhard: Meiner Erfahrung nach variiert das und ist natürlich nicht repräsentativ: Vor 15 Jahren hatten wir viele Fälle von ADHS, das ist etwas zurückgegangen. Aber es ist auf jeden Fall immer noch eine große Komponente. Dann haben wir viel mit Patient:innen zu tun, die Probleme haben, ihre Emotionen zu steuern. Außerdem nehmen selbstverletzendes Verhalten und Zwangsstörungen immer mehr zu. Und natürlich Depressionen.
Britta: Ich möchte noch Ängste ergänzen. Ich meine hier zum Beispiel soziale Phobien bei Jugendlichen oder soziale Ängstlichkeit bei Kindern. Aber auch spezifische Phobien, die sich auf bestimmte Situationen oder Gegenstände beziehen, treten immer wieder auf. Claudia, was sagt die Studienlage dazu?
Claudia: Die häufigsten Erkrankungen sind definitiv die Angststörungen. Es gibt viele Diagnosen, die darunterfallen: Die vier häufigsten Störungsbilder sind generalisierte, soziale oder spezifische Phobien sowie Störung des Sozialverhaltens wie Wutanfälle, die wir sehr häufig haben, und auch ADHS und Depression. Was aber in Studien oft nicht umfassend abgedeckt wird, sind die Komorbiditätsraten, also das gleichzeitige Vorkommen von zwei oder mehr Erkrankungen. Wir wissen jedoch, dass Angst und Depression oft gemeinsam auftreten, genauso wie ADHS und Störungen des Sozialverhaltens oder häufige Störungen zusammen mit einer, aus Studienlage gesehen, selteneren Störung wie Tickstörungen und Zwangsstörungen. Wir beobachten diese Komorbiditäten immer wieder im Kindes- und Jugendalter.
Was sind die Ursachen?
Britta: Ich habe gelernt, dass das Zusammenwirken von drei unterschiedlichen Faktoren Ursache von psychischenErkrankungen sein können. Zum einen der biologische Faktor: Jede:r kommt mit einem ganz eigenen Temperament oder genetischen Dispositionen auf die Welt. Zum anderen der psychologische Faktor, der das Verhalten, Kognitionen, Emotionen, Einstellungen bestimmt. Und schließlich die sozialen Faktoren: Welche Netzwerke habe ich? In welchen Status werde ich hineingeboren? Wie wachse ich auf – also wie ist die Bindung, wie ist das Zuhause, gibt es Konflikte, ist es liebevoll, ist es wertschätzend? Wie ist die Kita/Schule? Dazu kommen Lebensereignisse, die traumatisierend und belastend sind – wie Tod oder Krankheit. Also Ereignisse, die einen Menschen tief irritieren und verunsichern.
Claudia: Ich stimme dem zu: Eine bio-psycho-soziale Perspektive spielt immer eine Rolle. Wir können keine Komponente einzeln betrachten. Es gibt verschiedene Sichtweisen und Modelle zur Ursachenlage. Mir persönlich sagt auch das Vulnerabilitäts-Stress-Modell zu, weil es eine andere Ebene beleuchtet. Das besagt, dass wir alle eine Art „Stressfass“ haben.
Und wenn wir vielen Stressfaktoren ausgesetzt sind, werden wir empfänglicher für die Entwicklung von psychischen Störungen. Sobald eine Art Schwelle überschritten wird, kommt es zur Ausbildung von Symptomatik. In diesem Modell wird die Lebensgeschichte miteinbezogen, einschließlich der verschiedenen chronischen und akuten Stressoren, die wir alle haben. Das erklärt auch klinisch, warum einige Kinder und Jugendliche psychische Störungen entwickeln und andere nicht. Im Modell werden auch die protektiven Faktoren betrachtet. Noch mal im Bild gesprochen: Mit welchen Mitteln kann das „volle Stressfass“ wieder etwas ablaufen.
Britta: Stimmt! Starke Ressourcen, Schutzfaktoren und Resilienzen sind ganz wichtig, denn diese können Kinder
schützen.
Haben sich die Probleme in den letzten Jahren verändert?
Claudia: Die Pandemie hat viel verändert: Wir wissen, dass der Elternstress gestiegen ist. Wir wissen, dass die Gewalt in den Familien zugenommen hat, einschließlich der emotionalen Gewalt – wie zum Beispiel das Anschreien von Kindern. Abseits der Pandemie können wir auch Phänomene, die im Zusammenhang mit der digitalen Welt stehen, nicht ignorieren, wie zum Beispiel Computerspielabhängigkeit und exzessiver Medienkonsum.
Britta: Ich denke auch, dass die Ängste oder die Not bei den Menschen größer geworden ist – die sozialen Bedingungen sind schwierig: Der Klimawandel, Kriege usw. führen zu Zukunftsängsten, Jugendliche fragen sich, wie es weiter gehen soll. Ich höre immer wieder, dass sie einen Kontrollverlust erleben, weil sich die äußeren Bedingungen so rasant verändern.
Gerhard: Aber auch der Aspekt der Internalisierung spielt eine Rolle: Viele Jugendliche setzten sich extrem unter Druck. Gerade was das Sozialverhalten angeht, haben sie das Gefühl, einen unglaublich hohen Ethos an den Tag legen zu müssen. Das führt bei vielen zu erheblichen Störungen.
Warum setzen sich junge Menschen heute mehr unter Druck?
Gerhard: Selbstoptimierung als ein Zeitgeistmoment spielt eine Rolle. Aber auch die ganzen Angstszenarien, die es jetzt gibt und zum Teil berechtigt sind – wie Corona, Kriege, Erderwärmung – prasseln ungefiltert auf die Kinder und Jugendlichen ein. Es ist nicht für jede:n möglich, sich resilient zu machen oder die Themen so zu transformieren, dass sie damit umgehen können. Sich zum Beispiel politisch zu engagieren, kann ein Umgang sein. Manche, die das nicht können, gehen deshalb in die Hilflosigkeit hinein.
Wann melden sich betroffene Familien oder Jugendliche bei euch? Wann sollten sie sich melden?
Britta: Meistens besteht ein Leidensdruck, weil es zum Beispiel große Konflikte in der Schule oder zu Hause gibt. Eltern wissen nicht mehr, wie sie ihr Kind unterstützen sollen, weil das Kind oder die/der Jugendliche nicht über sich spricht. Dann melden sich die Eltern bei uns. Wenn die Eltern Veränderungen feststellen und registrieren, dass das Kind sich selbst verletzt, dass sich das Essverhalten ändert oder es immer dünner wird, ist es wichtig, sich Hilfe zu suchen. Wenn eine Notlage besteht, sollte unbedingt Hilfe in Anspruch genommen werden.
Und gleichzeitig ist der Zugang zu psychologischer Hilfe so schwer. Warum?
Gerhard: Das ist eine quantitative Problematik. Wir sind zum Beispiel eine große Praxis mit etwa zehn Kinderund Jugendlichenpsychotherapeut:innen. Trotzdem haben wir eine überfüllte Warteliste und eine Wartezeit von sechs Monaten. Denn: Ein/e Therapeut:in behandelt in einem Jahr 30 bis 40 Menschen. Das ist viel, und dann sitzt er/sie auch schon mal samstags, um den Bürokram zu erledigen. Am Tag bekomme ich aber vier bis fünf Anfragen. Ich könnte demnach ungefähr ein bis zwei Wochen im Jahr Patient:innen aufnehmen. Dann wäre ich für ein Jahr ausgelastet. Doch das Jahr hat nicht zwei Wochen, sondern 52.
Claudia: Wir sollten aber auch selbstkritisch sein. Psychotherapie ist eine Expertisenversorgung, das ist ganz wichtig. Gleichzeitig ist es aber schwer, uns zu erreichen. Wenn wir an die Familien denken, die multiple Probleme haben wie soziale Belastungsfaktoren, eigener Stress, eigene Erkrankung oder sehr viel arbeiten müssen – dann ist der Weg zu uns aufwendig: Sie müssten bei uns anrufen, auf den AB sprechen. Selbst dann erreichen sie vielleicht niemanden. Wir handhaben das ähnlich in der Hochschulambulanz. Ich finde den Zugang jedoch hochschwellig. Es wäre gut, wenn es mehr Angebote gäbe, die in den Lebenswelten der Menschen stattfinden und leichter zugänglich sind.
Wie ist der Zugang bei dir, Britta?
Britta: Wir haben den Vorteil, dass wir neue Wege in der Psychotherapie gehen. Wir sind sehr gut vernetzt mit der Jugendhilfe und therapeutischen Einrichtungen. Wir arbeiten eng mit Schulen, Sozialarbeiter:innen, Jugendämtern und den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten (kurz KJPDs) zusammen. Sie rufen uns an, wenn eine Familie dringend Hilfe benötigt, und vermitteln diese an uns. Wir können niedrigschwellig arbeiten, weil wir eher in der Lebenswelt der Kinder, Jugendlichen und Familien sind. Viele Familien erhalten eine Empfehlung von der Familienhilfe oder niedergelassenen Psycholog:innen zu einer Behandlung, finden aber keinen Platz. Falls das Kind für eine Gruppentherapie geeignet ist, wird es nun auch an uns vermittelt.
Gruppentherapie?
Britta: Wir machen keine oder nur bedingt Einzeltherapie. In der Regel bieten wir einen Platz in der Gruppe an. Wir können dann auch mehr Kinder und Jugendliche gleichzeitig behandeln.
Was sind die wichtigsten Merkmale der Zirkustherapie?
Britta: Wir arbeiten mit Methoden und Interventionen der Verhaltenstherapie. Es geht außerdem viel um Emotionsregulation – um Strategien, die Kinder und Jugendliche erlernen können. Dafür nutzen wir zum Beispiel therapeutische Rollenspiele oder auch positive Selbstinstruktion. Denn: Viele Kinder haben ein schlechtes Selbstbild und tragen Glaubenssätze in sich, die nicht hilfreich sind. Gleichzeitig leiten wir körperbasierte und bewegungsfreudige Übungen, Zirkusdisziplinen und kurzweilige, achtsame Entspannungsmöglichkeiten an. So
können wir kindgerecht, mit viel Spiel und Bewegung arbeiten.
Kannst du ein Beispiel dafür geben?
Britta: Aus Kinderperspektive: „Da ist diese wackelige Kugel und ich möchte nach oben. Aber ich denke, das schaffe ich sowieso nicht. Das ist viel zu wackelig.“ Dann frage ich als Therapeutin das Kind: „Ist das ein hilfreicher Gedanke für dich, wenn du auf die Kugel möchtest?“ – „Nein, natürlich nicht, ich habe aber Angst vor der Kugel.“
Dann leiten wir das Kind langsam Schritt für Schritt an, um auf die Kugel zu kommen. Gleichzeitig sprechen wir über die kognitive Ebene. Denn: Körper und Kognition möchten wir gemeinsam bearbeiten. Das Kind kann direkt registrieren, wenn die Übung klappt und merkt: „Ich kann das.“
Das ist auch das Besondere bei uns – Körper und Geist arbeiten Hand in Hand.
Was habt ihr, Gerhard und Claudia, gedacht, als ihr das erste Mal von der Zirkustherapie gehört habt?
Gerhard: Ich möchte dazu kurz ausholen. Wir haben in Deutschland zwei grundsätzliche Versorgungssysteme für Kinder und Jugendliche. Da ist einmal der Weg, über die Krankenkasse eine Psychotherapie finanziert zu bekommen. Und dann haben wir zweitens den Bereich Jugendhilfe, das SGB VIII Jugendhilfegesetz. Dort geht es eigentlich um Hilfen zur Erziehung oder Eingliederungshilfen. Also darum, dass Kinder die Bedingungen bekommen, in denen sie sich zu gesunden, erwachsenen Menschen entwickeln können.
Aus meiner Sicht ist dieser zweite Bereich wesentlich kindgerechter. Dort kann man zum Beispiel aufsuchend arbeiten, was ich eigentlich sehr wichtig finde. Im Bereich der Krankenkasse, wo ich arbeite, sind die Möglichkeiten sehr viel geringer. Die Kinder kommen zur Behandlung in die Praxis, vielleicht gibt es wie bei uns noch einen Raum zum Toben. Die Umwelterfahrungen, die die Kinder machen können, sind jedoch extrem limitiert. Das ist einfach aus dem Erwachsenenbereich übernommen – das ist aber nicht kindgerecht.
Und da lacht dann mein Herz, wenn ich Zirkustherapie höre – das klingt schon nach Möglichkeiten, von denen wir nur träumen. Bei uns ist nach Pezzi-Ball und kleinem Klettergerüst Schluss! Es passiert stattdessen viel Paper-Pencil-Arbeit.
Britta: Also Arbeit rein auf der kognitiven Ebene: Hier ist dein Arbeitsblatt, dann denk mal drüber nach.
Gerhard: Die Versorgungslage ist so schlecht, dass man nur wenig Zeit mit jedem Kind hat – insgesamt 24 Stunden. Da wird nicht genug auf die Kinder geguckt. Und dann kommt da so ein bunter „Straßenköter“ daher, der sich Zirkustherapie nennt. Und geht diagonal durch diese ganzen Stammstrukturen hindurch. Das hat mich vom ersten Moment an total überzeugt.
Britta: Durch den Aspekt Zirkus ermöglichen wir Schlüsselerlebnisse. Kulturelle Bildung – Zirkus gehört dazu – stärkt die Auseinandersetzung mit sich selbst! Durch die Kreativität und die Auseinandersetzung mit eigenen, tiefliegenden Gefühlen und Assoziationen wird ein anderer Weg zur Heilung geschaffen.
Was hast du gedacht, Claudia?
Claudia: Ich war sofort sehr begeistert. Denn durch die körperliche Ebene kann die Selbstwirksamkeit gestärkt werden. Und es ist einfach für alle Kinder da! Alle können etwas schaffen! Außerdem finde ich den Ansatz sehr kindgerecht. Es geht nicht nur um Kognition, ums Reden und am Ende spielen wir noch ein Spiel. Sondern es ist auch nonverbal sowie erlebbar und direkt. Ich glaube, dadurch können viele Hürden überwunden werden, die wir mit unserem akademischen, kognitiven Stil manchmal aufbauen. Dass alle mitmachen können, berührt mich sehr! Als ich im letzten Jahr die Aufführung der Alegria-Kinder gesehen habe, sprachen ihre Gesichter Bände. Sie waren so stolz auf das, was sie geschafft hatten. Es ist wirklich unglaublich cool.
Jetzt gibt es das Institut seit zwei Jahren. Britta, kannst du ein Zwischenfazit ziehen? Was sind Erfolge, was sind Schwierigkeiten?
Britta: Im ersten Durchgang hatten wir für ein Jahr 60 Kinder bei uns, die mit einer Abschlusspräsentation ihre Gruppenpsychotherapie beendet haben. Das ist gut gelaufen und war ein Erfolg.
Was schwierig und sehr zeitaufwendig ist, ist die Zusammenstellung der Gruppen – ich hatte mir das konzeptionell einfacher vorgestellt. Denn eigentlich sollen die Gruppen gleichzeitig starten. Da ich aber je Gruppe sechs bis acht Kinder finden möchte, die altershomogen sind, aber verschiedene Störungsbilder aufweisen, starten sie die Therapie im Moment nicht gemeinsam. Das ist auch für die Aufführung schade. Wir haben zwar die Warteliste voll, aber viele weisen die gleichen Störungsbilder auf. Ich möchte aber, dass die Gruppen störungsbildübergreifend sind. Deshalb sind manche Gruppen nicht voll besetzt.
Wie soll damit in Zukunft umgegangen werden?
Britta: Wir überlegen gerade, ob wir es konzeptionell nochmal verändern wollen. Im Moment ist meine Lösung dafür, Alegria noch bekannter zu machen bei niedergelassenen Therapeut:innen, Kliniken, KJPDs oder Familienberatungsstellen, damit sie die Familien gleich an uns weitervermitteln. Wenn der Pool an Kindern größer wird, steigt die Chance, dass alle gleichzeitig starten können.
Wie kann man Kinder angesichts der aktuellen Situation stärken?
Britta: Gerhard hat nochmal von dieser erlernten Hilflosigkeit gesprochen. Wir müssen die Kinder da rausholen,
indem wir sie befähigen, ihre Lebenswelt mitzugestalten! Und:
„Jedes Kind kann etwas, hat Fähigkeiten, hat Talente, hat Ressourcen.
Wir können sie unterstützen, das zu erkennen und zu fühlen:
„So wie ich bin, bin ich gut.“
– Britta Niehaus
Gerhard: Ich möchte dazu gerne eine Geschichte erzählen: Ich hatte einmal eine erwachsene Patientin, eine Sozialarbeiterin. Sie hat mir erzählt, dass sie es als Jugendliche fürchterlich krachen lassen hat – keine Droge hätte sie liegen gelassen. Sie beschrieb sich als eine hochgefährdete Jugendliche. Sie erzählte dann, dass ihre Mutter ihr schon als Kind einen Leih-Opa besorgt hatte. Und der hat immer nur gesagt, wie toll sie sei. Fast bis ins Lächerliche hineingehend hätte er sie immer wieder bestätigt. Irgendwann mit 17 oder 18 Jahren war sie völlig am Ende. Da hätte sie dann an den Leih-Opa gedacht und sich gefragt, was er jetzt wohl denken würde, wenn er sie so sehen könnte. Das wäre der Punkt gewesen, wo sie die Kehrtwendung gemacht hat.
„Da habe ich persönlich gelernt dass Bestätigung, Anerkennung, Zuversicht und all diese Aspekte sind so wichtig,
um gesund zu werden und gesund zu bleiben.“
– Gerhard Kaulard
Claudia: Ich denke auch, dass es mindestens einen Menschen braucht, der dir sagt, dass du gut bist, so wie du bist, der oder die dich auch bei Krisen unterstützt.
Britta: Tatsächlich ist es auch sinnvoll, die Eltern zu unterstützen, ihnen zum Beispiel zu einer Beratung, einer eigenen Therapie oder einer Mutter-Kind-Kur zu raten. Denn: Wir haben auch immer wieder psychisch kranke Kinder von psychisch kranken Eltern.
„Wenn wir Eltern unterstützen,
dann tun wir auch den Kindern Gutes.“
– Britta Niehaus
Zum Abschluss: In einem Wort – was ist das Wichtigste, dass erkrankte Kinder und Jugendliche in der Therapie brauchen?
Britta: Hoffnung.
Claudia: Selbstwirksamkeit.
Gerhard: Bestätigung.
Ich danke euch sehr für das Gespräch!
Unsere Expert:innen:
Claudia Calvano | Gerhard Kaulard | Britta Niehaus |
Univ.-Prof. Dr. Claudia Calvano ist Professorin an der Freien Universität Berlin. Dort leitet sie die klinische Kinder-und Jugendpsychologie und-psychotherapie und Hochschulambulanz für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Sie ist promovierte Psychologin und ausgebildete Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.
Sie kennt das Institut für Zirkustherapie durch eine Evaluation. Claudia entspannt sich am besten, wenn sie mit ihren Hunden spazieren geht!
Dipl. Psychologe Gerhard Kaulard ist seit über 25 Jahren als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in seiner eigenen Praxis tätig. Neben Kindern und Jugendlichen behandelt er in seinem Psychotherapiezentrum Treptow auch Erwachsene. Außerdem leitet er eine Lehrpraxis für Verhaltenstherapeut:innen und ist am Institut für Verhaltenstherapie Berlin-Brandenburg als Supervisor und Lehrpraxisleiter tätig. Britta kennt er nicht nur aus dem Urlaub, sondern auch aus dem Treptower Kunger-Kiez, in dem seine Praxis wie auch das Institut ansässig sind. In seinem zweiten Leben ist er Jazzmusiker – mit einem Instrument in der Hand entspannt er am besten!
Dipl. – Soz. Päd. Britta Niehaus arbeitet seit über 30 Jahren in der Jugendhilfe und hat nicht nur viele Jahre den CABUWAZI Standort in Treptow geleitet, sondern ist auch als „insofern erfahrene Fachkraft für Kinderschutz“ die Kinderschutzbeauftragte des Trägers. Außerdem ist sie Theaterpädagogin und inklusive Zirkuspädagogin. Britta kommt aus der Kulturellen Bildung – sie entwickelte u.a. Zirkus-Tanz-Theaterprojekte und interdisziplinäre Kulturveranstaltungen. Sie ist approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und entwickelte den kreativen Ansatz der Zirkustherapie, arbeitete in Fachkliniken und niedergelassenen KJP-Praxen und konzipierte ein Modellprojekt für die Zirkustherapie. Anschließend gründete sie das erste Institut für Zirkustherapie Europas – das Alegria, welches Dank einer Förderung des Senats für Bildung, Jugend und Familie niedrigschwellige Gruppenpsychotherapie für seelisch erkrankte Kinder und Jugendliche aus Berlin kostenfrei anbietet.
Britta kann sich beim Tanzen zu lauten Noiserockkonzerten wunderbar entspannen!