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Zirkuskultur, die stark macht

Zirkuskultur, die stark macht: Wirkung und Entwicklung von Kinder- und Jugendzirkussen und der Zirkuspädagogik

In diesem Blogartikel werfen wir einen Blick auf den Beitrag von Gisela Winkler aus der Jubiläumsbroschüre Gemeinsam wachsen, die anlässlich des 30-jährigen Bestehens von Zirkus CABUWAZI veröffentlicht wurde.

Zirkusmachen ist großartig!

Und das Beste daran ist, dass jede:r mitmachen kann, ohne besondere Voraussetzungen mitbringen zu müssen. Der Zugang ist niedrigschwellig – alle können etwas! Durch beharrliches Üben können wirkliche Höchstleistungen erreicht werden, welche die Zuschauer:innen beeindrucken. Die Vielfalt des Zirkus – neben den artistischen Disziplinen gehören auch Musik, Tanz, Theater, Kostüm- und Bühnenbild bis hin zur Licht- und Tontechnik und Werbung hinzu – hilft jedem und jeder etwas zu finden, was interessiert und attraktiv ist, wo man sich beweisen und Erfolgserlebnisse verbuchen kann. So ist es kein Wunder, dass Kinder- und Jugendzirkusse überall großen Zulauf haben und deren gegenwärtige Zahl unüberschaubar ist. Sie existieren in den unterschiedlichsten Größen und Formen: von eigenständigen Vereinen, in der Trägerschaft soziokultureller, sportlicher und kirchlicher Einrichtungen bis hin zu Schulzirkussen.

Die Entwicklung der Kinderzirkusbewegung

Die Entwicklung der Kinderzirkusbewegung begann 1949 mit dem Zirkus Elleboog in Amsterdam, der die Nachkriegskinder von der Straße holte und mit ihnen artistische Kunststücke übte. Aus der Kinderrepublik Benposta in Spanien, die auf der Straße lebenden Kindern eine Heimstatt bot, ging in den sechziger Jahren der Circo Muchachos hervor, der international berühmt wurde. Zu einer weltweiten Bewegung wurde der Kinderzirkus dann in den achtziger Jahren, als Pädagog:innen, Erzieher:innen und Sozialpädagog:innen die pädagogischen und sozialen Möglichkeiten dieses künstlerischen Mediums entdeckten, aber auch als durch den Cirque Nouveau und innovativen Zirkusunternehmen wie Roncalli die Zirkuskunst von Künstler:innen verschiedener Genres „wiederentdeckt“ und in gewissem Maße aufgewertet wurden. Die künstlerische Kreativität in der Gestaltung von Darbietungen und im Erfinden von Geschichten, erzählt durch artistische Mittel, die Verbindung von Akrobatik, Musik, Tanz, Theater sowie die Einbeziehung sportlicher Elemente und von Street Art haben den Kinder- und Jugendzirkus in kurzer Zeit in vielen Ländern zu einem ganz wesentlichen Bestandteil der Jugendkultur gemacht. Der Kinderzirkus mit seinen vielfältigen Möglichkeiten und Aspekten erweist sich als ein besonders geeignetes Medium für die Kulturelle Bildung.

Der Kinder- und Jugendzirkus – ein vielfältiger Lernort

Zirkus ist ein Lernort par excellence – durch seine Vielfalt ist es jedem und jeder möglich, etwas für sich Passendes und Befriedigendes zu finden, in dem man sich ausprobieren und an dem man wachsen kann. Wie beim professionellen ist auch beim Kinderzirkus ein wesentliches Moment die Grenzüberschreitung: von physischen und psychischen Grenzen, von sozialen, sprachlichen und kulturellen Unterschieden. Die sozialen Aspekte spielen seit seinen Anfängen eine große Rolle. Zirkusmachen ist nur im Team möglich, es braucht sowohl Vertrauen
in die eigenen Fähigkeiten als auch in die der anderen Mitartist:innen. Die Teilnehmenden erfahren prägende Gemeinschaftserlebnisse, übernehmen Verantwortung für das gemeinsame Projekt, entwickeln ihre Individualität und ein neues Lernverhalten. Prozessorientiertes Denken und Handeln, Teamfähigkeit, Flexibilität und Kreativität, Selbstmotivation und Selbstvertrauen sind sogenannte Schlüsselkompetenzen, die für die gesellschaftliche Entwicklung notwendig sind.

Die Zirkuspädagogik

Zirkusmachen wirkt per se pädagogisch: Die Kinder und Jugendlichen erkennen schnell, dass es Beharrlichkeit und auch mal Selbstüberwindung, Disziplin und Arbeit im Team braucht, damit eine Darbietung und schließlich eine Show zustande kommen. Die Zirkuspädagogik als relativ junge Form der Freizeit- und Kunstpädagogik nutzt die Möglichkeiten des Zirkus, um pädagogische Prozesse und Ziele durch Zirkustraining anzuregen und zu erreichen. Durch ihre große Vielfalt kann sie die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden in vielen Bereichen fördern und so zum Beispiel das Erreichen schulischer Lernziele auf spielerische Weise ergänzen und unterstützen.

Die Dimensionen der Zirkuspädagogik – Beispiele der Kompetenzbildung

Die Zirkuspädagogik ist in mehreren Dimensionen wirksam: von der physischen, psychischen, kognitiven bis hin zur gesellschaftlichen. In diesen Bereichen können sich in unterschiedlichen Entwicklungsprozessen vielseitige Fähigkeiten und Kompetenzen entfalten. So findet physisch die körperliche Entwicklung von Koordination, Kraft, Geschicklichkeit und Rhythmusgefühl statt. Psychisch wird die individuelle Entwicklung angeregt. Hier geht es um affektiv-emotionale Erfahrungen wie Selbstwahrnehmung und gestiegenes Selbstbewusstsein durch den
Stolz auf die eigene Leistung. In der kognitiven Dimension bilden sich durch das gemeinsame Trainieren und das Entwickeln von Shows zum einen Fähigkeiten wie Selbstdisziplin, Ausdauer, Konzentrationsvermögen, Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein aus, zum anderen wird die Kreativität und das Ästhetikempfinden gefördert. Außerdem erhöht sich die Frustrationstoleranz, da sich die Erkenntnis einstellen kann, dass anfängliches Scheitern an der selbstgestellten Aufgabe zum Trainingsprozess dazu gehört. Das gemeinsame künstlerische Schaffen ermöglicht die Erfahrung, nützlich und kompetent zu sein: Die gesellschaftliche Dimension meint unter anderem das Erleben von Teamarbeit und die damit einhergehende Entwicklung von sozialen Kompetenzen – jeder und jede findet seinen und ihren Platz, ist einzigartig und zugleich Teil eines Ganzen. Durch die notwendige Zusammenarbeit im Team werden Toleranz und Respekt ausgebildet sowie das Gefühl bestärkt, sich zugehörig zu einer Gruppe zu fühlen, akzeptiert zu werden und wiederum andere mit ihrer individuellen Persönlichkeit zu akzeptieren.
Seit einiger Zeit spielt die Zirkuspädagogik auch zunehmend eine Rolle in der heilpädagogischen und therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, da sie an individuelle Stärken und Interessen von Kindern anknüpft.

Zirkus als Kunstform

Die künstlerisch-kreative Gestaltung von Darbietungen, Szenen und Shows erfordert von den Teilnehmenden eine intensive Beschäftigung mit künstlerischen Aspekten. Zirkus als die Einheit von unterschiedlichen Kunstgenres bietet Raum für die Einbeziehung aller Kinder und Jugendlichen, unabhängig von zum Beispiel Herkunft und Sprachkenntnissen. Denn die Körperkunst des Zirkus funktioniert auch nonverbal.
Die Einbeziehung anderer künstlerischer Genres ist zwar ein Kennzeichen der gesamten Zirkuskunst, steht aber insbesondere im Zeitgenössischen Zirkus im Vordergrund. Im Kinderzirkus wird kaum mit Tieren gearbeitet, das unterscheidet ihn vom traditionellen Zirkus, entspricht aber der Charakteristik des Neuen bzw. Zeitgenössischen Zirkus. Viele Shows erzählen eine Geschichte und beziehen so in mehr oder weniger starkem Maße das Theater ein. Über die Gestaltung ihrer Darbietung hinaus können sich die Mitwirkenden mit der Gestaltung von Themen beschäftigen, die sie sich ausgewählt haben. Diese Motive können natürlich ganz unterschiedlich sein, häufig findet sich aber die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und dem Finden ihres eigenen Weges. Die Zirkuspädagogik bietet somit auch für die Entwicklung eines gesellschaftlichen Bewusstseins zahlreiche Möglichkeiten.

Seit Jahrzehnten ist nun Zirkusmachen und die Zirkuspädagogik aus der Jugendkultur nicht mehr wegzudenken. So unterschiedlich die Kinder- und Jugendzirkusse auch sein mögen – für die Kinder und Jugendlichen bieten sie einen sicheren Ort, sich zu entfalten, Möglichkeiten der physischen, psychischen und sozialen Entwicklung wahrzunehmen und nicht zuletzt dabei viel Spaß zu haben. Es ist ein Spaß, der sich auch den Zuschauenden der Shows mitteilt, die bewundernd feststellen, was Kinder und Jugendliche zuwege bringen, wenn sie sich der Aufgabe des Zirkusmachens widmen.


Zur Person: Gisela Winkler ist – gemeinsam mit ihrem Ehemann Dietmar Winkler – Initiatorin und Leiterin eines der europaweit größten Archive für Zirkuskunst mit Sitz in Berlin. Das seit 50 Jahren bestehende Archiv sammelt und bewahrt Dokumente zur Geschichte von u. a. Artistik, Zirkus und Varieté mit dem Ziel, die Tradition des Zirkus zu bewahren und sie der Forschung zugänglich zu machen. Hierzu gehören ca. 10.000 Bücher, 2.000 Zeitschriften, 25.000 Fotos, 10.000 Programmhefte, Zeitungsausschnitte, Plakate, Videos, Souvenirs und Spielzeuge aus insgesamt über 50 Ländern. Gisela Winkler hat zahlreiche Bücher herausgegeben, u. a. „Die Geschichte der Artistik und des Zirkus“ sowie „Die Künste der Artistik“. Für ihr publizistisches Wirken für die Zirkuskunst wurde das Ehepaar Winkler mit dem Saltarino-Preis der Gesellschaft der Circusfreunde e.V. ausgezeichnet.


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Der Zirkus kommt! Aufsuchende Arbeit bei CABUWAZI

In unserer Jubiläumsbroschüre zu 30 Jahre CABUWAZI haben wir bereits einen spannenden Blick auf die aufsuchende Arbeit bei CABUWAZI gegeben. Jetzt möchten wir diesen Text, der ursprünglich in der Broschüre veröffentlicht wurde, auch hier in unserem Blog mit dir teilen.

Text: Julia Krautstengel

Alle Kinder sollen bei uns mitmachen können! Mit diesem Ziel wird der Zirkus von den Teams der CABUWAZI-Standorte Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof in das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen gebracht. Jede Woche sind die Trainer:innen in Unterkünften für Geflüchtete, Jugendclubs, Familienzentren, Parks und auf Spielplätzen in verschiedenen Berliner Bezirken unterwegs.

Wie sieht er aus, der Alltag der Trainer:innen in der aufsuchenden Arbeit? Und welche Voraussetzungen braucht es, damit die Arbeit mit den Kooperationseinrichtungen gelingt? Wir haben die Koordinatorinnen Steffi und Julia, die die CABUWAZI-Projekte in den Unterkünften und mit weiteren Kooperationspartner:innen in Marienfelde und Spandau betreuen sowie die Trainer:innen Iris und Ahmed einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet.

Verschwitzt und lachend kommen die Kinder im Abschlusskreis zusammen. Es ist Nachmittag, der erste Kurs an diesem Mittwoch ist gleich zu Ende. Alle strecken ihre Füße in die Mitte und schauen sich an. Dann zählen die Kinder und Trainer:innen in ihren Erstsprachen von zehn bis eins und verabschieden sich mit Tschüss, hoşçakal, alwadae! Die Kinder, die hier trainieren, leben in einer Gemeinschaftsunterkunft in Marienfelde. Wenig Platz, alte Gebäude, außerhalb des Berliner Zentrums – das beschreibt viele Unterkünfte, in denen Kinder und Jugendliche leben, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.

Der Trainingsraum befindet sich auf dem Gelände der Unterkunft, von der Pforte sind es gerade mal ein paar Schritte, vorbei an Wohngebäuden, einem Basketballplatz und spielenden Kindern – die Stimmung wirkt ausgelassen, auch beim Training. Iris, eine der zwei Trainer:innen, die heute die Trainingsgruppen anleiten, betont, dass die Kinder, die hier zum Training kommen, wirklich immer Lust haben. Dies schaffe eine ganz besondere Dynamik und sei sehr energiegeladen. Das wird auch beim Zuschauen deutlich: Beim Seilspringen strengensich alle an, um mehr als 20 Sprünge zu schaffen. Es wird gejubelt, sich gegenseitig angefeuert und ermutigt. Der Trainingsraum ist schlicht eingerichtet, Trainingsmatten, eine Seilanlage, hinter einem beigen Vorhang sind Kisten abgestellt. Heute können die Kinder Zirkusdisziplinen wie Seilspringen, Kugel, Hula-Hoop und Rola Bola trainieren – die Requisiten hierfür lassen sich leicht hin und her transportieren.

Flexibilität in der aufsuchenden Arbeit sei besonders wichtig, nicht nur bei den Zirkusrequisiten, betonen Steffi und Julia, die die Projektarbeit in Marienfelde und Spandau koordinieren und an den Standort in Tempelhof angebunden sind. Wir treffen sie in ihrem auf dem Gelände von CABUWAZI Tempelhof gelegenen Büro, einem gemütlich eingerichteten Zirkuswagen, draußen nieselt es. Ihr Morgen beginnt meistens damit, E-Mails zu checken und die wichtigsten Fragen für den Tag zu klären: Sind alle Trainer:innen da? Muss etwas umgeplant werden?

„Beyond Borders“ – der Beginn der aufsuchenden Arbeit in Unterkünften

Die aufsuchende Arbeit in Unterkünften startete 2015 bei CABUWAZI, als das Projekt „Beyond Borders“ ins Leben gerufen wurde. Ziel war es, geflüchteten Kindern und Jugendlichen das Ankommen zu erleichtern, ein soziales Miteinander in der Gemeinschaft zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre eigenen Stärken zu entdecken. Von da an führt das seit 2017 in Tempelhof ansässige Team Zirkusprojektwochen, Workshops und fortlaufende Zirkuskurse direkt in den unterschiedlichen Unterbringungseinrichtungen durch. Die Arbeit mit Geflüchteten ist auch heute noch ein Schwerpunkt des Standortes in Tempelhof.

Aktuell bieten drei CABUWAZI-Standorte mobile Angebote in Unterkünften an: Die Teams aus Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof sind aber nicht nur in Unterkünften unterwegs, sondern bringen den Zirkus auch in Jugendfreizeiteinrichtungen und laden an öffentlichen Plätzen zum Mitmachen ein. Mit Erfolg: Der Bedarf sei hoch, erklärt Julia. Insbesondere, da das kulturelle Angebot in den Außenbezirken begrenzt sei. Und Steffi, die seit über fünf Jahren die Arbeit in Marienfelde koordiniert, ergänzt:

„Viele Eltern der Kinder, die zu uns kommen, haben mit bürokratischen Prozessen und Sprachbarrieren zu kämpfen. Dann ist es einfach toll für die Kinder, an schönen Aktivitäten teilzunehmen.“

Steffi (Koordinatorin Projekt Marienfelde)

Die aufsuchende Arbeit geht dahin, wo die Kinder sind, und arbeitet mit denjenigen, die da sind. Im Gegensatz zu den Kursen an den Standorten ist nicht immer klar, wer wann beim Training dabei sein wird. Das Angebot in Marienfelde wird deshalb an die Kinder vor Ort und die jeweiligen Umstände angepasst. „Hier geht es nur bedarfsorientiert“, erzählt Steffi. Zentral sei die Frage, wie jedes Kind bestmöglich unterstützt werden kann, um am Training teilzunehmen. Beide Koordinatorinnen versuchen außerdem, regelmäßig Shows mit den Kindern zu konzipieren: „Die Kinder sind so stolz auf sich, das liebe ich“, sagt Julia schmunzelnd.

Um sicherzustellen, dass die Projekte so reibungslos und angenehm wie möglich für die Kinder und Trainer:innen verlaufen, koordinieren Steffi und Julia verschiedene Projektebenen und Aufgaben. Dazu gehören das Schreiben von Einsatzplänen, Netzwerkarbeit und Absprachen mit Kooperationspartner:innen. Bei Bedarf unterstützen und begleiten sie auch Trainer:innen pädagogisch, stehen mit Familien in Kontakt und vermitteln, wenn nötig.

Langfristig gemeinsam Arbeiten

In manchen Erstaufnahmeeinrichtungen wechseln die Kinder oft, in anderen Unterkünften sind sie schon Jahre dabei und nehmen heute an Trainings auf dem Platz in Tempelhof teil, erzählt Iris in einer Trainingspause. Ein Kind, das durch Iris in eine Trainingsgruppe an den Standort in Tempelhof gekommen ist, brachte ihr beim ersten Training auf dem Platz Blumen mit – das hat sie zu Tränen gerührt.

„Dadurch, dass ich schon lange da bin, kenne ich die Kinder sehr gut, ich habe eine Beziehung zu ihnen.“

Iris (Trainerin)

Auch Steffi und Julia unterstreichen, dass die Beziehungsarbeit zentral sei und das Angebot über den Zirkus hinausgehe. Es wird je nach Interesse geschaut, was die Kinder brauchen. „Wir vermitteln auch mal an einen Sportverein“, erzählt Steffi. Für manche Kinder stehe nicht der Zirkus im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Beziehungen, die sie hier aufbauen können.

Das Team in Marienfelde und auch in Spandau profitiere davon, dass es sehr international ist. Trainer:innen können so auch Rollenvorbilder sein, die den Trainingskindern aufgrund eigener Erfahrungen Mut machen. Die Teilnehmenden können nicht zuletzt auch deswegen schnell eine Verbindung zu den Trainer:innen aufbauen. „Das ist auch eine Parallelwelt zu dem, was sie sonst oft erleben.

„Wir schaffen mit dem Angebot für die Kinder einen Ort, an dem sie sich künstlerisch ausdrücken können, einen gesunden Ort, wo sie sich ok fühlen.“

Julia (Koordinatorin Projekt Spandau)

Nachdem das Training der Sechs- bis Zehnjährigen vorbei ist, plappern alle fröhlich durcheinander und erzählen von ihren Lieblingsübungen. Viele der Kinder kommen schon seit über einem Jahr zum Training, wie zum Beispiel Oula, die neun Jahre alt ist und am liebsten mit dem Springseil trainiert. Selbstbewusst erzählt sie, dass sie aber auch gerne Fußball spiele – in beidem sei sie sehr gut. Besonders toll finden die Kinder Ahmed und Iris: Auf die Frage, wie die Trainer:innen hier sind, rufen alle laut „toll, toll, toll“.

Nach und nach schlendern nun die älteren Kinder herein – am späten Nachmittag beginnt das Training für die Kinder ab zehn Jahre. Es wird diskutiert, ob heute zwei Kinder bleiben können, die eigentlich zu jung sind – Iris fragt alle in der Gruppe und schließlich wird eine Ausnahme gemacht. Die Kinder werden hier immer wieder in Entscheidungen einbezogen und lernen so, Probleme und Unstimmigkeiten gemeinsam zu lösen. Iris ist es wichtig, dass sie neben ihren Fähigkeiten in Balance und Akrobatik auch ihre sozialen Kompetenzen ausbauen: „Hier treffen ganz unterschiedliche Kinder aufeinander, die dann miteinander klarkommen müssen.“ Gelegentlich gäbe es Streit, wie überall, meistens könne sie aber vermitteln.

Nach einer Aufwärmphase trainieren die Kinder in verschiedenen Gruppen – einige mit dem Hula-Hoop, eines auf dem Rola Bola. Die meisten haben die Kugel gewählt. Ahmed zeigt den Trainingskindern, die schon auf der Kugel stehen können, anspruchsvolle Übungen. Bei Somaya sieht die Umsetzung dieser ganz leicht aus, so gut ist sie schon. Sie trainiert seit zwei Jahren hier in der Unterkunft und hat bereits an den Zirkusferien in Tempelhof teilgenommen. Stolz erzählt sie, dass sie mit der Kugel auch schon bei zwei Shows aufgetreten ist.

Fragt man Iris, was sie sich noch für ihre Arbeit wünschen würde, fällt ihre Antwort ganz klar aus: „Am liebsten würde ich Dari, Arabisch und Türkisch sprechen, damit ich noch besser mit den Eltern kommunizieren kann.“ Sie findet es schade, dass die Kinder oft das Dolmetschen übernehmen müssen und es mit den Eltern zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt. Aber auch hier lassen sich Brücken aufbauen und das Vertrauen wächst stetig. Im Training zeigt Iris jetzt die sogenannten Kugeltiere. Die Kinder steigen auf ihre Kugeln und sind mal Löwe, mal Katze. Iris geht von Kind zu Kind, nimmt sich Zeit, jede Übung genau zu erklären. Zwischendurch wird gelacht, die Kinder erzählen vom Fest des Fastenbrechens, das gerade stattfindet.

Es ist zentral, dass die Kinder beim Training eine gute Zeit haben und positive Erfahrungen machen. Deshalb achten Julia und Steffi besonders darauf, dass die Trainer:innen auch wirklich Lust haben, in den Unterkünften zu arbeiten. Der eigene Anspruch sei es deshalb, wie Steffi betont, dass sich die Teams wohlfühlen und alles haben, was sie brauchen, um gut arbeiten zu können. „Nur so wird das Training zu einer guten, sicheren Erfahrung“, erklärt sie.

Julia erzählt, dass die Trainer:innen in den Unterkünften sehr viel Gestaltungsspielraum haben: „Es gibt viele Freiheiten, gleichzeitig aber auch weniger gefestigte Strukturen als auf dem Standort.“ Manchmal gäbe es zum Beispiel keine direkte Ansprechperson in der Unterkunft und Julia und Steffi sind auch nicht immer vor Ort. Wenn es eine Frage gibt, weil ein Kind zum Beispiel länger nicht zum Training gekommen ist, „kann die Arbeit auch mal mühsam werden“, sagt Julia.

Ein weiter Weg zur Anerkennung

Als Steffi vor über fünf Jahren mit der Arbeit in Marienfelde begann, war die Finanzierung immer wieder ein großes Thema: „Es gab sehr wenig Sicherheit, ob das Projekt nächstes Jahr noch relevant genug ist.“ Im Moment wird die aufsuchende Arbeit an den drei CABUWAZI-Standorten über den Asyl-, Migrations-, und Integrationsfond der EU finanziert sowie über den Berliner Jugendsenat. Das ist ein großer Erfolg, da die Förderung über mehrere Jahre läuft und die Projekte und Kooperationen nachhaltig geplant werden können. Ein weiterer Erfolg ist, dass das Jugendamt in Spandau die Zirkuspädagogik mit in ihr Portfolio der Kinder- und Jugendarbeit aufgenommen hat und dass auch in Tempelhof-Schöneberg das Jugendamt die Arbeit von CABUWAZI in ihrem Bezirk unterstützt.

Viele Perspektiven – mehr Inklusion

Julia erzählt, dass es mittlerweile mehrere Kooperationspartner:innen in Spandau und Marienfelde gibt – so können auch Kinder zu CABUWAZI finden, die nicht in den Unterkünften leben, sondern zum Beispiel ihre Nachmittage in Jugendfreizeiteinrichtungen verbringen. Das macht das Angebot noch inklusiver. Marienfelde und Spandau, aber auch Altglienicke und Hohenschönhausen sind Stadtteile mit weniger Auswahl an Freizetangeboten als an anderen Orten Berlins: „Es gibt viele Familien, die nicht nach Tempelhof oder Kreuzberg fahren können“, bemerkt sie.

Durch die Arbeit, die an den drei Standorten in Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof geleistet wird, haben viele Kinder die Möglichkeit, an etwas teilzuhaben, was für viele andere ganz normal ist: einem Hobby, dem sie in ihrer Freizeit selbstständig nachgehen können. Zirkus kann jedoch noch viel mehr: Er fördert Fähigkeiten und Fertigkeiten, stärkt das Selbstvertrauen, unterstützt die soziale Entwicklung und schafft einen niedrigschwelligen Zugang zu Bewegung und Kultureller Bildung.

Das Training geht am Abend zu Ende. Den ganzen Nachmittag haben Ahmed und Iris die Kinder begleitet. Jetzt rollen sie die Matten zusammen und räumen die Kugeln weg. Für sie ist hier genau der richtige Ort für Zirkus: „Der Spaß und die Energie der Kinder motivieren mich“, sagt Iris lachend zum Abschluss.


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