In unserer Jubiläumsbroschüre zu 30 Jahre CABUWAZI haben wir bereits einen spannenden Blick auf die aufsuchende Arbeit bei CABUWAZI gegeben. Jetzt möchten wir diesen Text, der ursprünglich in der Broschüre veröffentlicht wurde, auch hier in unserem Blog mit dir teilen.
Text: Julia Krautstengel
Alle Kinder sollen bei uns mitmachen können! Mit diesem Ziel wird der Zirkus von den Teams der CABUWAZI-Standorte Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof in das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen gebracht. Jede Woche sind die Trainer:innen in Unterkünften für Geflüchtete, Jugendclubs, Familienzentren, Parks und auf Spielplätzen in verschiedenen Berliner Bezirken unterwegs.
Wie sieht er aus, der Alltag der Trainer:innen in der aufsuchenden Arbeit? Und welche Voraussetzungen braucht es, damit die Arbeit mit den Kooperationseinrichtungen gelingt? Wir haben die Koordinatorinnen Steffi und Julia, die die CABUWAZI-Projekte in den Unterkünften und mit weiteren Kooperationspartner:innen in Marienfelde und Spandau betreuen sowie die Trainer:innen Iris und Ahmed einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet.
Verschwitzt und lachend kommen die Kinder im Abschlusskreis zusammen. Es ist Nachmittag, der erste Kurs an diesem Mittwoch ist gleich zu Ende. Alle strecken ihre Füße in die Mitte und schauen sich an. Dann zählen die Kinder und Trainer:innen in ihren Erstsprachen von zehn bis eins und verabschieden sich mit Tschüss, hoşçakal, alwadae! Die Kinder, die hier trainieren, leben in einer Gemeinschaftsunterkunft in Marienfelde. Wenig Platz, alte Gebäude, außerhalb des Berliner Zentrums – das beschreibt viele Unterkünfte, in denen Kinder und Jugendliche leben, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.
Der Trainingsraum befindet sich auf dem Gelände der Unterkunft, von der Pforte sind es gerade mal ein paar Schritte, vorbei an Wohngebäuden, einem Basketballplatz und spielenden Kindern – die Stimmung wirkt ausgelassen, auch beim Training. Iris, eine der zwei Trainer:innen, die heute die Trainingsgruppen anleiten, betont, dass die Kinder, die hier zum Training kommen, wirklich immer Lust haben. Dies schaffe eine ganz besondere Dynamik und sei sehr energiegeladen. Das wird auch beim Zuschauen deutlich: Beim Seilspringen strengensich alle an, um mehr als 20 Sprünge zu schaffen. Es wird gejubelt, sich gegenseitig angefeuert und ermutigt. Der Trainingsraum ist schlicht eingerichtet, Trainingsmatten, eine Seilanlage, hinter einem beigen Vorhang sind Kisten abgestellt. Heute können die Kinder Zirkusdisziplinen wie Seilspringen, Kugel, Hula-Hoop und Rola Bola trainieren – die Requisiten hierfür lassen sich leicht hin und her transportieren.
Flexibilität in der aufsuchenden Arbeit sei besonders wichtig, nicht nur bei den Zirkusrequisiten, betonen Steffi und Julia, die die Projektarbeit in Marienfelde und Spandau koordinieren und an den Standort in Tempelhof angebunden sind. Wir treffen sie in ihrem auf dem Gelände von CABUWAZI Tempelhof gelegenen Büro, einem gemütlich eingerichteten Zirkuswagen, draußen nieselt es. Ihr Morgen beginnt meistens damit, E-Mails zu checken und die wichtigsten Fragen für den Tag zu klären: Sind alle Trainer:innen da? Muss etwas umgeplant werden?
„Beyond Borders“ – der Beginn der aufsuchenden Arbeit in Unterkünften
Die aufsuchende Arbeit in Unterkünften startete 2015 bei CABUWAZI, als das Projekt „Beyond Borders“ ins Leben gerufen wurde. Ziel war es, geflüchteten Kindern und Jugendlichen das Ankommen zu erleichtern, ein soziales Miteinander in der Gemeinschaft zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre eigenen Stärken zu entdecken. Von da an führt das seit 2017 in Tempelhof ansässige Team Zirkusprojektwochen, Workshops und fortlaufende Zirkuskurse direkt in den unterschiedlichen Unterbringungseinrichtungen durch. Die Arbeit mit Geflüchteten ist auch heute noch ein Schwerpunkt des Standortes in Tempelhof.
Aktuell bieten drei CABUWAZI-Standorte mobile Angebote in Unterkünften an: Die Teams aus Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof sind aber nicht nur in Unterkünften unterwegs, sondern bringen den Zirkus auch in Jugendfreizeiteinrichtungen und laden an öffentlichen Plätzen zum Mitmachen ein. Mit Erfolg: Der Bedarf sei hoch, erklärt Julia. Insbesondere, da das kulturelle Angebot in den Außenbezirken begrenzt sei. Und Steffi, die seit über fünf Jahren die Arbeit in Marienfelde koordiniert, ergänzt:
„Viele Eltern der Kinder, die zu uns kommen, haben mit bürokratischen Prozessen und Sprachbarrieren zu kämpfen. Dann ist es einfach toll für die Kinder, an schönen Aktivitäten teilzunehmen.“
Steffi (Koordinatorin Projekt Marienfelde)
Die aufsuchende Arbeit geht dahin, wo die Kinder sind, und arbeitet mit denjenigen, die da sind. Im Gegensatz zu den Kursen an den Standorten ist nicht immer klar, wer wann beim Training dabei sein wird. Das Angebot in Marienfelde wird deshalb an die Kinder vor Ort und die jeweiligen Umstände angepasst. „Hier geht es nur bedarfsorientiert“, erzählt Steffi. Zentral sei die Frage, wie jedes Kind bestmöglich unterstützt werden kann, um am Training teilzunehmen. Beide Koordinatorinnen versuchen außerdem, regelmäßig Shows mit den Kindern zu konzipieren: „Die Kinder sind so stolz auf sich, das liebe ich“, sagt Julia schmunzelnd.
Um sicherzustellen, dass die Projekte so reibungslos und angenehm wie möglich für die Kinder und Trainer:innen verlaufen, koordinieren Steffi und Julia verschiedene Projektebenen und Aufgaben. Dazu gehören das Schreiben von Einsatzplänen, Netzwerkarbeit und Absprachen mit Kooperationspartner:innen. Bei Bedarf unterstützen und begleiten sie auch Trainer:innen pädagogisch, stehen mit Familien in Kontakt und vermitteln, wenn nötig.
Langfristig gemeinsam Arbeiten
In manchen Erstaufnahmeeinrichtungen wechseln die Kinder oft, in anderen Unterkünften sind sie schon Jahre dabei und nehmen heute an Trainings auf dem Platz in Tempelhof teil, erzählt Iris in einer Trainingspause. Ein Kind, das durch Iris in eine Trainingsgruppe an den Standort in Tempelhof gekommen ist, brachte ihr beim ersten Training auf dem Platz Blumen mit – das hat sie zu Tränen gerührt.
„Dadurch, dass ich schon lange da bin, kenne ich die Kinder sehr gut, ich habe eine Beziehung zu ihnen.“
Iris (Trainerin)
Auch Steffi und Julia unterstreichen, dass die Beziehungsarbeit zentral sei und das Angebot über den Zirkus hinausgehe. Es wird je nach Interesse geschaut, was die Kinder brauchen. „Wir vermitteln auch mal an einen Sportverein“, erzählt Steffi. Für manche Kinder stehe nicht der Zirkus im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Beziehungen, die sie hier aufbauen können.
Das Team in Marienfelde und auch in Spandau profitiere davon, dass es sehr international ist. Trainer:innen können so auch Rollenvorbilder sein, die den Trainingskindern aufgrund eigener Erfahrungen Mut machen. Die Teilnehmenden können nicht zuletzt auch deswegen schnell eine Verbindung zu den Trainer:innen aufbauen. „Das ist auch eine Parallelwelt zu dem, was sie sonst oft erleben.
„Wir schaffen mit dem Angebot für die Kinder einen Ort, an dem sie sich künstlerisch ausdrücken können, einen gesunden Ort, wo sie sich ok fühlen.“
Julia (Koordinatorin Projekt Spandau)
Nachdem das Training der Sechs- bis Zehnjährigen vorbei ist, plappern alle fröhlich durcheinander und erzählen von ihren Lieblingsübungen. Viele der Kinder kommen schon seit über einem Jahr zum Training, wie zum Beispiel Oula, die neun Jahre alt ist und am liebsten mit dem Springseil trainiert. Selbstbewusst erzählt sie, dass sie aber auch gerne Fußball spiele – in beidem sei sie sehr gut. Besonders toll finden die Kinder Ahmed und Iris: Auf die Frage, wie die Trainer:innen hier sind, rufen alle laut „toll, toll, toll“.
Nach und nach schlendern nun die älteren Kinder herein – am späten Nachmittag beginnt das Training für die Kinder ab zehn Jahre. Es wird diskutiert, ob heute zwei Kinder bleiben können, die eigentlich zu jung sind – Iris fragt alle in der Gruppe und schließlich wird eine Ausnahme gemacht. Die Kinder werden hier immer wieder in Entscheidungen einbezogen und lernen so, Probleme und Unstimmigkeiten gemeinsam zu lösen. Iris ist es wichtig, dass sie neben ihren Fähigkeiten in Balance und Akrobatik auch ihre sozialen Kompetenzen ausbauen: „Hier treffen ganz unterschiedliche Kinder aufeinander, die dann miteinander klarkommen müssen.“ Gelegentlich gäbe es Streit, wie überall, meistens könne sie aber vermitteln.
Nach einer Aufwärmphase trainieren die Kinder in verschiedenen Gruppen – einige mit dem Hula-Hoop, eines auf dem Rola Bola. Die meisten haben die Kugel gewählt. Ahmed zeigt den Trainingskindern, die schon auf der Kugel stehen können, anspruchsvolle Übungen. Bei Somaya sieht die Umsetzung dieser ganz leicht aus, so gut ist sie schon. Sie trainiert seit zwei Jahren hier in der Unterkunft und hat bereits an den Zirkusferien in Tempelhof teilgenommen. Stolz erzählt sie, dass sie mit der Kugel auch schon bei zwei Shows aufgetreten ist.
Fragt man Iris, was sie sich noch für ihre Arbeit wünschen würde, fällt ihre Antwort ganz klar aus: „Am liebsten würde ich Dari, Arabisch und Türkisch sprechen, damit ich noch besser mit den Eltern kommunizieren kann.“ Sie findet es schade, dass die Kinder oft das Dolmetschen übernehmen müssen und es mit den Eltern zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt. Aber auch hier lassen sich Brücken aufbauen und das Vertrauen wächst stetig. Im Training zeigt Iris jetzt die sogenannten Kugeltiere. Die Kinder steigen auf ihre Kugeln und sind mal Löwe, mal Katze. Iris geht von Kind zu Kind, nimmt sich Zeit, jede Übung genau zu erklären. Zwischendurch wird gelacht, die Kinder erzählen vom Fest des Fastenbrechens, das gerade stattfindet.
Es ist zentral, dass die Kinder beim Training eine gute Zeit haben und positive Erfahrungen machen. Deshalb achten Julia und Steffi besonders darauf, dass die Trainer:innen auch wirklich Lust haben, in den Unterkünften zu arbeiten. Der eigene Anspruch sei es deshalb, wie Steffi betont, dass sich die Teams wohlfühlen und alles haben, was sie brauchen, um gut arbeiten zu können. „Nur so wird das Training zu einer guten, sicheren Erfahrung“, erklärt sie.
Julia erzählt, dass die Trainer:innen in den Unterkünften sehr viel Gestaltungsspielraum haben: „Es gibt viele Freiheiten, gleichzeitig aber auch weniger gefestigte Strukturen als auf dem Standort.“ Manchmal gäbe es zum Beispiel keine direkte Ansprechperson in der Unterkunft und Julia und Steffi sind auch nicht immer vor Ort. Wenn es eine Frage gibt, weil ein Kind zum Beispiel länger nicht zum Training gekommen ist, „kann die Arbeit auch mal mühsam werden“, sagt Julia.
Ein weiter Weg zur Anerkennung
Als Steffi vor über fünf Jahren mit der Arbeit in Marienfelde begann, war die Finanzierung immer wieder ein großes Thema: „Es gab sehr wenig Sicherheit, ob das Projekt nächstes Jahr noch relevant genug ist.“ Im Moment wird die aufsuchende Arbeit an den drei CABUWAZI-Standorten über den Asyl-, Migrations-, und Integrationsfond der EU finanziert sowie über den Berliner Jugendsenat. Das ist ein großer Erfolg, da die Förderung über mehrere Jahre läuft und die Projekte und Kooperationen nachhaltig geplant werden können. Ein weiterer Erfolg ist, dass das Jugendamt in Spandau die Zirkuspädagogik mit in ihr Portfolio der Kinder- und Jugendarbeit aufgenommen hat und dass auch in Tempelhof-Schöneberg das Jugendamt die Arbeit von CABUWAZI in ihrem Bezirk unterstützt.
Viele Perspektiven – mehr Inklusion
Julia erzählt, dass es mittlerweile mehrere Kooperationspartner:innen in Spandau und Marienfelde gibt – so können auch Kinder zu CABUWAZI finden, die nicht in den Unterkünften leben, sondern zum Beispiel ihre Nachmittage in Jugendfreizeiteinrichtungen verbringen. Das macht das Angebot noch inklusiver. Marienfelde und Spandau, aber auch Altglienicke und Hohenschönhausen sind Stadtteile mit weniger Auswahl an Freizetangeboten als an anderen Orten Berlins: „Es gibt viele Familien, die nicht nach Tempelhof oder Kreuzberg fahren können“, bemerkt sie.
Durch die Arbeit, die an den drei Standorten in Altglienicke, Hohenschönhausen und Tempelhof geleistet wird, haben viele Kinder die Möglichkeit, an etwas teilzuhaben, was für viele andere ganz normal ist: einem Hobby, dem sie in ihrer Freizeit selbstständig nachgehen können. Zirkus kann jedoch noch viel mehr: Er fördert Fähigkeiten und Fertigkeiten, stärkt das Selbstvertrauen, unterstützt die soziale Entwicklung und schafft einen niedrigschwelligen Zugang zu Bewegung und Kultureller Bildung.
Das Training geht am Abend zu Ende. Den ganzen Nachmittag haben Ahmed und Iris die Kinder begleitet. Jetzt rollen sie die Matten zusammen und räumen die Kugeln weg. Für sie ist hier genau der richtige Ort für Zirkus: „Der Spaß und die Energie der Kinder motivieren mich“, sagt Iris lachend zum Abschluss.